Landeanflug
Wie jedes Jahr in der Vorweihnachtszeit, dreht das Leben so richtig auf. Meine Freundinnen flippen wie PingPongBälle zwischen Martinsmärkten, Laternenläufen und Adventsbasarvorbereitungen hin und her. Und während wir am Telefon noch fachsimpeln, ob unisolierte Kabel an elektrischen Kinderlaternenstäben ein Gesundheitsrisiko darstellen oder normal sind, ist die Zeit auch schon wieder rum.
Bei mir winken Gemeindeversammlung und…ja…nichts weiter. Verblüfft habe ich feststellen müssen, dass sich dieses Arbeitsjahr für mich langsam dem Ende entgegen neigt. Ich befinde mich im Landeanflug. In wenigen Wochen werden mein Mann und ich ans Meer fahren. Ein paar Tage Wellen, Salzluft und Stille. Lichter beobachten und zur Ruhe kommen. Letztes Jahr haben wir das zum ersten Mal gemacht und es fühlte sich für mich wie der Ausbruch aus einem viel zu engen Korsett an. Dieses Jahr dürfen wir wieder fahren. Mit dem Zug diesmal, ich bin gespannt. Habe ne großzügige Portion Humor schon mal auf die Packliste gesetzt.
Nun ist noch Zeit für ein paar liegengebliebene Studienarbeiten und sonstige Opfer meiner Aufschieberitis. Zeit den Schreibtisch zu putzen. Zeit, sich einen Tee zu kochen. 5 Türchen noch im Bis-zum-Advent-Kalender. Das erste Mal seit…lang (oder immer?) nehme ich mir die Zeit, um durch die Wohnung zu gehen und zu überlegen, ob ich gerne dekorieren möchte. Und dann mache ich mir Weihnachtsmusik an und lege los. Obwohl noch gar nicht Advent ist. Ich bin ein Rebell. Ein Weihnachtsrebell.
Und während ich vor mich hinmale und klebe und dekoriere, fällt mir auf, für was ich alles dankbar bin. Es gab so viel, allein in den letzten zwei Wochen, was mich so tief berührt und gefreut hat.
Menschen, die mir mit kleinen und großen Gesten zu verstehen geben, dass sie mich mögen. Dass ich ihnen wichtig bin.
- Die Sprachnachrichten einer Freundin, die täglich bei mir eintrudeln und mich an ihrem Familienleben teilhaben lassen.
- Ein selbst gebundener Adventskranz von einer ganz lieben Freundin, die zwischen Chemo, OP und Kinderzimmer eigentlich ganz andere Sorgen hätte.
- Der Gatte, der uns ein Zelt unter dem Esstisch baut, nur damit seine Frau sich freut und wir unserer kleinen Nichte davon ein Foto schicken können.
- Ein unerwarteter Brief von der liebsten Frau aus der Schweiz.
- Die kurzen ‚go for it girl-Grüße‘ meines Wingman, wann immer ich laufen gehe.
- Die regelmäßigen und lieben Mails einer Leserin, die ich inzwischen kennen lernen durfte. Was für eine fantastische Frau.
- Die spontanen ‚Komm an unser Kaminfeuer-‚ und ‚magst du Zimtschnecken?-Einladungen‘ unserer perfekten Fast-Nachbarn.
- Und so vieles mehr.
Es ist wirklich so…wenn man erstmal anfängt auf des Schöne und Wertvolle zu sehen, nimmt es plötzlich zu. Der Blick verstellt sich und die Momente beginnen zu leuchten. Wie viele Leuchtmomente habe ich in den letzten Jahren wohl wegen meiner Hektik verpasst? Aber das ist nun egal, ich kann es nicht mehr ändern. Aber ich kann jetzt hinsehen. Und ich kann weitergeben. Es sind oft nur so kleine Gesten notwendig.