Gedankenflug,  Sabbat

Zeit nehmen

Es hat gefroren heute Nacht. Jetzt scheint die Sonne, aber es ist bitterkalt. Frisch. Die Hausdächer funkeln unter mir und die Kälte der Fliesen meines Balkons krabbelt durch meine dicken Socken. Ich spüre, dass mein Gesicht rot ist, vor allem die Nase. In der Luft hängt der vage Geruch von Schornsteinrauch. Ich mag das, es erinnert mich an meine Kindheit.
Ich fühle mich lebendig heute Morgen.

Die Gemeindeversammlung liegt hinter mir. Der letzte große Termin. Es steht bis Neujahr nichts mehr an. Schweren Herzens und dann doch erleichtert, habe ich mich in diesem Jahr gegen einen Adventskalender auf diesem Blog entschieden. Doch nach einem betriebsamen Sommer sehne ich mich in diesem Dezember nach Ruhe. Nach einer Pause um in mich zu gehen und dort ein wenig aufzuräumen. Gedanken zu sortieren, mich vielleicht von manchen zu trennen und wiederum andere in ein Regal mit den schönen Erinnerungen zu legen. Ich bin dankbar, dass ich mir dieses Jahr dafür Zeit nehmen kann. Einfach ganz frech: Zeit genommen. Der getriebene Teil in mir ist empört. Aber ich habe das Gefühl, dass Gott lächelt. Und ich lächle auch. Zeit genommen. Und unwillig sein, sie wieder her zu geben.

Auch meine Estherreihe liegt gerade brach. Es begann damit, dass ich eine kleine Auslegung zu Nehemia schreiben durfte. Nehemia lebte am gleichen Ort wie Esther, nur ein wenig später. In Gedanken durch die gleiche Burg Susa zu laufen, doch dort völlig unterschiedlichen Personen zu begegnen, hat mich ziemlich verspult. Daher muss Esther warten. Das wurmt mich. Etwas anzufangen und dann erstmal liegen zu lassen…für so etwas schäme ich mich. Dinge nicht fertig bekommen. Was sollen denn die Leute denken? Aber vielleicht denken die Leute ja gar nichts. Vielleicht haben Menschen ganz andere Dinge im Kopf, als sich um meine Sachen zu sorgen. Und vielleicht sollte ich mich weniger um die Gedanken anderer Menschen sorgen. Immerhin hab ich eigene Gedanken, da muss ich nicht in fremden Köpfen ruminterpretieren. Mein Leben wäre überhaupt entspannter, wenn ich, anstatt zu interpretieren, mehr fragen und mehr zuhören würde.

Es wird mir zu kalt auf dem Balkon. Ein letztes Mal atme ich die frische Luft ein, spüre wie es in den Lungen kribbelt. Es riecht nach Veränderung. So wie die Jahreszeiten wechseln, habe ich das Gefühl, dass sich auch bei mir etwas ändert. In mir. Um mich herum. So wie man im März merkt, dass der Frühling kommt, selbst wenn noch einige Wochen Winter vor einem liegen. Der Umbruch ist dennoch spürbar. So geht es mir gerade.

Doch vor der Veränderung liegt die Pause. Das Kraft sammeln und zur Ruhe kommen. Ganz ohne schlechtes Gewissen. Ich nehme mir die Zeit.

2 Comments

  • Bettina V.

    Danke für deine Gedanken, sehr ehrlich – wie so oft.
    Ehrlichkeit/ Offenheit hilft zu verstehen, warum manches anders läuft als vielleicht von mir erwartet. Wünschte mir das von mehr Menschen.
    Zeit nehmen – können, für das Wesentliche. Nicht fremdbestimmt sein von Schulterminen, Arbeit und
    etc.pp, geht nicht immer…manchmal ist es nur für
    eine kleinste Atem-Pause, das muß dann reichen. Jesus trägt uns durch. Dich und mich – Danke HERR.
    Danke Dir – gesegnete Zeiten!

    • Tine

      Liebe Bettina,
      danke für deine Zeilen. Du hast so recht. Nicht immer klappt das mit dem Zeit nehmen. Ich glaube gerade für euch Eltern ist das oft richtig schwierig. Ich wünsche dir, gerade jetzt im Advent, ganz viele kleine aber wunderbare Jesusmomente.

      Deine Tine

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