Anbetung
Es geht ein leichter Wind. Ich persönlich glaube ja, dass der Wind Gottes Art ist, die Menschen zu streicheln. Erst letzte Woche habe ich mich mit einer Frau unterhalten, die zu dem gleichen Schluss gekommen ist. Es muss an der Theorie also was dran sein.
Das Rauschen des Wildbaches ist lauter, als ich es als Stadtmensch angenommen hatte. Der Stein auf dem ich sitze, ist warm von der Sonne und um mich herum zwitschern ein paar Vögel tapfer gegen die Wasserlautstärke an. Hier bin ich. Unverhofft und ungeplant, mitten in der wunderschönen Schweiz.
Mein Verhältnis zur Schweiz ist ein wenig zwiegespalten. Ich liebe die Menschen hier. Diese geraden, ehrlichen und charakterstarken Menschen. Und irgendwie liebe ich auch die Berge. Ich finde sie zwar furchteinflössend und als von Höhenangst geplagter Mensch, macht mir so manche Brücke wirklich zu schaffen. Aber die Natur der Schweiz ist letztendlich doch einfach nur eines: atemberaubend. Gleichzeitig ist das Selbstbewusstsein und der ungetrübte Nationalstolz der Schweizer für mich, als historientraumatisierte Deutsche, ein wenig verstörend. Meistens versuche ich das Sprechen zu vermeiden, damit niemand merkt, dass ich nicht dazu gehöre.
Hier bin ich. Zusammen mit meinem Mann, sind wir von einem Freund übers Wochenende eingeladen worden. Die Jungs sehen sich Berg-Autorennen an und mein Mann hat im Anschluss jenes seltene Glänzen in den Augen, wenn er mir davon berichtet. Männer sind schon wunderbare – und ein wenig seltsame – Geschöpfe. Und heute steht ein Ausflug in die Berge an. Auch dieser mit dem Auto. Die Jungs genießen sichtlich die Fahrt auf den engen und steilen Straßen – links die Felswand, rechts der Abgrund – während ich auf dem Rücksitz das Beten in einer ganz neuen Intensität lerne. Gerade machen wir Pause und die Männer konnten dem Geröll nicht widerstehen und sind eine Runde klettern gegangen.
Und ich? Ich sitze an diesem Wildbach. Die Auszeit findet in einem Zeitrahmen statt, der mich nicht überfordert. Wie bereits letzte Woche beschrieben, bin ich Anfängerin im aktiven Entspannen. Und ein Tag oder sogar nur ein halber Tag an diesem perfekten Stückchen Erde, würde mich (noch) überfordern. Meine Gedanken würden sich überschlagen, ich würde unruhig werden und versuchen etwas zu tun. Irgendwas. Und wenn ich die Steine um mich herum nach Größe sortieren würde. Aber eine halbe Stunde Auszeit geht. Ich habe ein Buch dabei, lese ein Kapitel. Lächle und beginne einzelnen Gedankengängen nachzuspüren, während das Wasser quirlig gluckert.
Ich sehe mich um. Ich bin allein hier. Niemand außer mir ist da. Die Jungs sind irgendwohin verschwunden. Ich beobachte die Wasserstrudel des Bachs. Es ist so wunderschön. Und dann wird es mir bewusst: kein anderer Mensch auf diesem Planeten sieht gerade diesen Abschnitt der Welt. Nur ich. Aber die Szene ist dennoch da und wird mit all ihrer Pracht aufgeführt. Was für ein Aufwand, was für eine Verschwendung an Schönheit. Als hätte Gott gesagt:
Ich mach das hier grandios. Weil heute meine Tochter vorbeikommen wird. Sie wird hier sitzen und ich möchte, dass sie staunt und sich freut. Ich will, dass es ihr die Sprache verschlägt.
Ein wenig Hintergrundwissen: ich liebe Wasser. In jeglicher Form. Es beruhigt mich, wenn ich in der Nähe von Wasser bin oder sogar darin plantschen darf. Ich mag es, kühles Wasser zu trinken. Das Meer ist für mich eines – wenn nicht das – Naturwunder Gottes; so wunderbar groß, wild, gewaltig und tief. Duschen ist mein Alltagshighlight; den Wassertropfen nachzuspüren, die alles mit sich nehmen: schlechte Träume, Alltagsmühen, Schmutz, Schweiß, Glitzerpuder vom euphorisch-unbeholfenen Basteln.
Diese Zeit an diesem gurgelnden Bach zu verbringen, ist für mich ein pures und unverdientes Geschenk.
Natürlich könnte man jetzt sagen: ja, aber es wäre auch genauso da und genau so schön gewesen, wärst du nicht hierher gekommen; das ist total vermessen und hirnrissig so zu tun, als hätte Gott das nur für dich gemacht.
Das stimmt. Aber…ich bin da. Jetzt. Ich kann dieses Naturschauspiel sehen und genießen. Und ich glaube genau dafür bin ich, und jeder andere Mensch, gemacht. Wir sind dazu da uns die Welt anzusehen, zu stauen und mit freudiger, sich überschlagender Stimme auszurufen: Jesus, das ist so unglaublich schön! Es ist fantastisch!
Das ist Anbetung in ihrer reinsten Form. Das löst das Bedürfnis aus Lieder zu schreiben über den, der sich solche Wunder ausdenken kann. Und ich glaube das genau hier ein Stück Ewigkeit stattfindet. Denn dieses Gefühl des Glücks, der Gegenwart, der Dankbarkeit und der Freude über die Schönheit ist das, was im Himmel stattfinden wird. Es hat etwas von tiefer Qualität und von Echtheit. Und ich bin überzeugt, dass Gott Vater in diesem Moment strahlt, Jesus ansieht und sagt:
„Für Momente wie diese, hat sich das alles doch gelohnt, oder?“
Ich erinnere mich gern an eine Situation in der Bibelschule. Es war Pause und ich warf einen Blick in den zweiten Seminarraum. Ein Freund hatte offensichtlich gerade ein Referat gehalten und der Bildschirmschoner – das Bild des nicht-lichtverschmutzten-sondern-klaren Sternenhimmels war zu sehen. Ich starrte staunend auf die abertausenden von Lichtpunkten. Mein Freund lehnte sich lässig neben mich in den Türrahmen und meinte locker: „Toll, gell. Hat mein Papa gemacht.“
Ich muss zugeben, es brauchte einige Zeit, bis der Groschen bei mir fiel, dass er nicht das Foto, sondern das Motiv selbst meinte.
Das ist das was ich mir mehr wünsche: einen Blick für die alltäglichen Wunder Gottes. Die Schönheit um mich herum bewusst wahrzunehmen und sie zu feiern. Der Ehrfurcht Raum zu geben.
Gut, ein Gebirgsbach ist für mich nun nicht gerade Alltag, er ist schon etwas Besonderes. Aber ich denke ihr wisst, was ich meine.
Ich will mich im Staunen verlieren. Bei dem Sonnenaufgang über den Weinbergen, dem ersten lebendigem Grün im Frühling, einem Wassertropfen auf einer Balkonpflanze in dem sich das Sonnenlicht bricht, einem Regenbogen, dem Tanzen von Pusteblumensamen oder dem Sternenhimmel in einer klaren Winternacht. Und dann die Freiheit zu haben Schönes schön zu nennen, mich kindlich daran zu freuen und darüber den zu feiern, der sich das alles ausgedacht hat. In solchen Momenten kann ich ihn spüren: den Lebenssinn. Und in solchen Momenten nehme ich zweierlei wahr. Die Freude daran zu leben und die Freude darauf, wenn ich nach Hause zu Jesus gehen werde um dort genau damit weiterzumachen, womit ich hier aufgehört habe: Freude und Staunen über einen kreativen, verschwenderisch liebenden Schöpfergott.
4 Comments
die Vorgärtnerin
das ist total vermessen und hirnrissig so zu tun, als hätte Gott das nur für dich gemacht.
Wer sowas denkt ist selber doof, sag den Leuten das beim nächsten Mal! (Auch denen in deinem Kopf.)
‚tüllich hat Gott das nur für dich gemacht! Aus welchem Grund hätte er dich sonst an genau diesem Tag an genau diesen Bach geführt, damit du dich genau auf diesen Stein setzt, und dann sagt er: „Tineschatz, pass auf! Die Vorstellung geht los!“
Welchen Sinn hätte das Leben ohne solche Sondervorstellungen? Ohne Pausen, ohne Bergfeste?
Das wäre ja das Leben als Tochter eines Geizkragens.
the
Das klingt nach einen wahrhaft wunderbaren Moment, liebe Tine! Was Gottes Streicheleinheiten angeht, erleb ich auch immer wieder, dass Er neben dem Wind, der die Wangen streichelt, mich auch durch die Sonnenstrahlen liebkost – wirklich ein zärtlicher, verschwenderischer, gütiger Vater!! Ich wünsche dir einen tollen Tag heute, an dem dich die Schönheit der Natur, des Alltags, der Menschen um dich herum und das Staunen über unseren großartigen Gott immer wieder beglücken kann!! Liebe Grüße sendet dir the
Franz
Wie schön! So erging es mir gestern am Meer. Witziger Weise ziemlich genau so..! Wie schön es ist, alleine die Vielzahl an Muscheln, die rauschenden Wellen, Ebbe und Flut, der Sand, die Sonne.. einfach nur wow!
Tolles Buch übrigens! 🙂
Tine
Danke ihr lieben.
Ja…ist ein super Buch. Kann ich nur empfehlen :-).Hammer, dass du’s erkannt hast.
Bekommen tut mans hier: http://denspatzinderhand.blogspot.de/p/neues-buch-und-postkarten.html
Und ein Gruß in den Vorgarten. Du hast mal wieder so recht. Es wäre das Leben als Tochter eines Geizkragens. So herum hab ich’s noch nie gesehen.