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Du siehst ja fertig aus

Juni 2017:

Es wird jetzt eine Zeit der Ruhe für dich anbrechen.“, die zwei Menschen die für mich beten lächeln und sie sprechen mit einer Überzeugung und einem Frieden, wie ich es fast ausschließlich bei Menschen im Gebet erlebt habe. Ich nehme die vertraute Stimme von Jesus durch die beiden wahr. Und dennoch…ich schlucke. Mein Vater ist schwerkrank. Die Situation bei ihm zu Hause ist am eskalieren und ich weiß nicht, wie es weitergehen soll. Die nächsten Monate werden vieles, aber mit Sicherheit nicht ruhig. Und im Oktober wird mein Leben wieder voll einsetzen. Das Urlaubssemester ist dann vorbei, eine Verlängerung ausgeschlossen. Was mache ich nur? Studium aufgeben? Papa ins Pflegeheim? Er ist doch erst 63 Jahre. Nein. Niemals Pflegeheim.

Vielleicht sollte ich zu ihm nach Hause ziehen. Aber für wie lange? Ein halbes Jahr? Ein Jahr? Und was wird das mit meiner Ehe machen? Halten wir das aus? Halte ich das aus? Diese Frage stellt sich nicht wirklich. Meine Familie hat viele Stärken. Aber gesunde Grenzen zu ziehen gehört definitiv nicht dazu. ‚Ich kann nicht mehr.‘, ist kein Satz, der in der Sprache meiner Familie Sinn ergibt. Aufopferung ist Normalzustand; wenn’s gar nicht mehr geht, darf man Jammern, aber niemals aufhören.

August 2017:

„Meine Güte, siehst du fertig aus.“, mein Gegenüber sieht mich besorgt an. Er ist die dritte Person, die mich in den letzten zehn Minuten auf meinen Zustand angesprochen hat. Bis eben fühlte ich mich eigentlich noch ganz fit. Sogar geschminkt bin ich. Und frisiert! Ich greife in das Schokoladenkörbchen, das ein freundlicher Mensch auf der Party aufgestellt hat, und verkrieche mich hinter einem Twix-Riegel. 

Die Aussage des Gebets hat sich bewahrheitet: es ist ruhiger geworden in meinem Leben. Ich habe gerade wenig zu tun. Papas Wohnung muss noch ausgeräumt werden. Papa. So plötzlich verstorben. Von heute auf morgen war er weg. Er fehlt mir sehr. Aber mit ihm gingen auch die Sorgen. Und die Aufgaben. Keine Telefonate, keine Stunden auf der Autobahn, kein Aufbauen, Trösten. Keine Arzttermine oder Absprachen mit Verwandtschaft und Therapeuten. Das Weinen ist die einzige Konstante. Doch auch das verändert sich langsam. Es wird ruhiger und reinigender. 

Und erst jetzt merke ich, wie sehr mich die letzten eineinhalb Jahre ausgelaugt haben. Und offensichtlich sieht man es mir auch an. 

Das liegt nicht nur an den Aufgaben und der emotionalen Belastung. Wenn ich ehrlich bin, liegt es wohl zum Großteil daran, dass ich unfähig bin, gesunde Grenzen zu setzen und mir sinnvolle Pausen zu nehmen.
Ich meine mit sinnvollen Pausen nicht die Zeiten, wo ich erschöpft auf die Couch falle und mich gar nicht mehr bewege.  (Während mein Gehirn mir erzählt, wie faul ich gerade bin.) Oder die Zeiten, wo ich vor einem Berg vor Aufgaben stehe, und mich still zurück ziehe und in einem Roman verstecke. Nur um dann später alles im Schweinsgalopp erledigen zu müssen, weil mir längst der Hintern brennt. 

Ich habe gerne viel zu tun. Seltsam oder nicht, aber ich fühle mich dadurch lebendig. Ich mag das. 

Aber niemand kann nur Arbeiten. Dafür sind wir nicht gemacht. Als Gott den Menschen erschuf, war es der sechste Tag. Am siebten Tag ruhte Gott. (Sogar Gott ruhte!) Der erste Tag, an dem der Mensch lebte, war ein Ruhetag. Ein Tag der Gemeinschaft mit Gott. Ein Tag um das Paradies zu genießen, um spazieren zu gehen und zu reden. Ein Tag für Füße hoch, für Kuscheln, fürs Feiern und Tanzen.

Aber wie kann so eine sinnvolle Pause aussehen? Wie gestaltet man freie Zeit? Das ist für mich tatsächlich eine schwierige Frage. 

Ich weiß wie mein Morgen abläuft und das entspannt mich. Aber ich weiß nicht wie mein Abend abläuft. Oft dauert mein Tag bis spätabends, und wenn ich dann endlich zu Hause bin, will ich nur noch ins Bett.
Doch selbst wenn ich Zeit hätte und den Abend genießen könnte, tue ich das meist nicht. Entweder ich setze mich doch nochmal hin und bereite etwas für den nächsten Tag vor. Oder (was wesentlich häufiger vorkommt), ich versacke im Internet. Es saugt mich einfach ein und spuckt mich Stunden später wieder aus.

Die letzten zwei Wochen hatte ich beinahe jeden Abend frei. Und es gab nichts vorzubereiten, so dass ich mich nicht an den Schreibtisch flüchten konnte. Und dabei ist sie mir aufgefallen: meine Überforderung freie Zeit wirklich zu genießen.

Das mit den freien Abenden wird sich auch in den nächsten Wochen nicht ändern. Also habe ich nun genügend Raum mir zu überlegen, wie ich aktuell und künftig meine Pausen verbringen möchte. 

Inspiriert von einer herzerwärmenden Liste von Wunderblick, habe ich mich hingesetzt und mir überlegt, auf was ich mich tagsüber freuen würde, wenn ich weiß, dass ein freier Abend ansteht. Oder auch mal ein Zeitfenster tagsüber. Ich muss zugeben, dass es mir nicht leichtfällt und ich schon über dieser kurzen Liste sehr lange saß. Aber das kam dabei raus: 

  • Neue Teesorten ausprobieren
  • Am Fluß entlangspazieren und Füße ins Wasser halten
  • Neue kontemplative Übungen ausprobieren 
  • Ein Glas Wein und ein gutes Gespräch mit meinem Mann
  • Baden
  • Mit meiner Lieblingsmusik aufs Minitrampolin
  • Ein gutes Buch lesen
  • Mit Hörbuch auf meinen Lieblingssessel
  • Bible-Journaling beginnen?

So. Das sind meine ersten Ergebnisse, mit denen ich nun in die Testphase starte.

Mit oder durch was entspannt ihr? Was sind die kleinen und großen Dinge, die euch helfen wieder aufzutanken?

Ein Danke an dieser Stelle. Es ist einfach ganz arg toll mit euch und ich genieße es sehr, dass ich schreiben und eure Kommentare lesen darf. Das ist für mich ein riesen Geschenk. Nach dem Beitrag über meine ersten Erfahrungen im Fitnessstudio kamen von euch so viele und tolle Ideen, wie man das Thema ‚Zeltpflege‘ noch angehen könnte. Das hat mich motiviert. Ich habe mich nun bei Freeletics eingelesen bzw. eingeguckt, mal nach Fitnessstudios für Frauen in der Nähe geschaut und erste Kontakte zu meinem, von Papa vererbten, Fahrrad hergestellt. Mal sehen mit was davon ich warm werde. 

Ich werde das mit dem bewussten Entspannen in den nächsten Wochen ausgiebig testen. Jesus hat mir gerade eine ruhige Zeit geschenkt, so wie er’s versprochen hat. Und das ein oder andere Entspannungsritual schafft es dann hoffentlich auch in die Zeit ab Oktober, wenn das Leben wieder einsetzt.

Ach ja…das Thema mit ‚gesunde Grenzen setzen‘ steht noch aus. Auch das werde ich anpacken müssen. Aber eins nach dem Anderen. Erstmal wird entspannt. 

Gruß und Kuss an euch und allen Urlaubern eine wunderschöne Zeit. 

5 Comments

  • Sonja

    Liebe Tine, danke für deinen ehrlichen Bericht (schreibe ich das wohl jedes Mal…?). Von Herzen wünsche ich dir übernatürlichen Trost und Frieden in der Trauer. Es tut mir sehr Leid, dass dein Papa gestorben ist. An meinem eigenen hänge ich sehr, darum trifft mich das irgendwie auch grad mit. Von Herzen wünsche ich dir auch, dass du entspannen darfst. Ich bin ähnlich gestrickt wie du – entweder Vollgas oder teigig-erschöpft auf dem Sofa – aber ich bin am Üben! 🙂 Bei mir funktioniert Entspannung am allerbesten mit Lesen. Ich liebe es! Was immer es auch sein wird – oder welche Dinge – ich wünsche dir, dass du sie findest. Alles Liebe! Sonja

    • Tine

      Vielen Dank für Deine lieben Worte, Sonja. Die tun sehr gut.
      Und teigig-erschöpft wird ab sofort mit in den Wortschatz aufgenommen, das ist so treffend!

  • the

    Liebe Tine,
    danke für das Teilen deiner Gedanken! Das klingt nach einer zehrenden Zeit die du hinter dir hast. Ich wünsche dir, dass du die Dinge von deiner Liste immer wieder umsetzen kannst und über die Zeit auch Neues entdeckst, was du zur deiner Entspannungsliste hinzufügen kannst. Freut mich, dass meine Liste dich dazu ein wenig inspirieren konnte :)! Mir fällt es auch nicht immer leicht, abzuschalten, aber ich habe über turbulente Zeiten hinweg gelernt, auch mal fünfe gerade sein zu lassen, dass ein meterhoher Wäscheberg nix zum einstürzen bringt und mir bestimmte Dinge für mich einfach gut tun und neue Kraft schenken. Das ist für mich beispielsweise draußen sein – wenn Sonne und Wind mir Streicheleinheiten bringen ;), ich ein gutes Buch lesen kann oder schreiben. Oder auch Zeit mit lieben Menschen oder meinen Patenkindern. Aber oft muss ich mich auch bewusst für „Aus-“ Zeiten entscheiden, denn im Alltag rutscht man so schnell von einem zum nächsten, oder vor den PC…
    Viele liebe Grüße sendet dir the

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