Liste

Rettungsplan für Schattentage

Es gibt diese Tage. Wo ich mir nichts recht machen kann. Wo mir morgens schon die Energie ausgegangen ist, bevor ich überhaupt aufgestanden bin.
Draußen scheint die Sonne. Der Tag gibt keinen Anlass für dunkle Gedanken. Dennoch sind sie da und weigern sich beharrlich wegzugehen. Ich höre das Lachen von Menschen an der Bushaltestelle. Die Vögel zwitschern. Ich mache das Fenster zu und lasse den Rollladen ein Stück herunter. Kurz gebe ich mich der Illusion hin, dass es noch finstere Nacht sei und ich liegen bleiben darf. Aber es ist nicht Nacht, sondern schon kurz vor sieben. Mein treuer Mann hat mir einen Kaffee ans Bett gestellt. Nun kämpfe ich mit mir, das als Anlass zu nehmen, einfach im Bett zu bleiben. Dummerweise muss ich aufs Klo.

Irgendwo zwischen zweiten Kaffee und erfolgreichem Aufschieben der Aufgaben klingelt mich meine Schwester an. Mit Erschrecken stelle ich fest, dass es bereits später Vormittag ist. Wo ist die Zeit hin?!
Meine Schwester kennt mich. Sie findet die perfekte Mischung aus Zusprache und liebevollem Anschieben. Sie stellt mir Fragen und hilft mir damit, mich in meinem eigenen Gedankenchaos zurecht zu finden. Und langsam kommen auch meine eigenen Fragen zurück.

Ich hatte mal eine ‚Checkliste‘ für schlechte Tage. Dinge, die ich abklären wollte, bevor ich mich nach unten ziehen lasse.

  • Habe ich genug getrunken?
  • Wann war ich zuletzt an der frischen Luft?
  • War unter den letzten sieben Tagen ein freier Tag?
  • Habe ich Zeit mit Gott verbracht?
  • Habe ich mir etwas gegönnt, was meiner Seele gut tut?
  • Habe ich mir in meiner freien Zeit einen Rückzugsort geschaffen oder war ich über Medien, Telefon, etc. für jedermann erreichbar?
  • Wann habe ich mich zuletzt körperlich ausgepowert?
  • Wann habe ich zuletzt meine Lieblingsmenschen gesehen?

Ein Blick auf meine Liste ist ernüchternd. Ohne es zu merken, habe ich sowohl meinen Geist als auch meinen Körper vernachlässigt. Ans Essen denke ich meist von allein, das ist nicht mein Problem. Aber Durst ignoriere ich gerne mal.

Meinen Durst nach Gott und nach Menschen ignoriere ich übrigens auch oft.

Zwar ‚muss‘ ich mich immer wieder mit Gott oder Bibel beschäftigen, denn ohne Bibel predigt es sich schlecht. Aber Arbeitstreffen mit Gott sind nicht das gleiche wie entspanntes Kaffeetrinken auf dem Balkon. Seele baumeln lassen. Qualitätszeit ohne Handy. Doch das letzte Mal ohne Handy ist lange her.

Mir dämmert langsam, dass es gute Gründe für meine Ausgelaugt sein geben könnte.

Zwei Stunden später habe ich genügend Wasser getrunken um mich fitter zu fühlen. Es hat erstaunlich viel Überwindung gekostet.
Dank des Paketdienstes und eines defekten Aufzugs hab ich zehn Stockwerke im Schweinsgalopp runter und rauf bewältigt. Inzwischen bekomme ich wieder Luft.
Nun ist das Handy in einem anderen Zimmern und ich schreibe auf dem Balkon diesen Blogartikel, ein Schokoladeneis im Bauch. Der Tag wird heller.

Dann mache ich Termine mit Lieblingsmenschen aus. Keine Arbeitstreffen wie so oft (da geben sich meine Kontakte zu Gott oder Menschen nicht so viel), sondern Treffen die nichts weiter im Fokus haben als Zeit miteinander zu verbringen. Diese Treffen strahlen nun wie kleine Sterne in meinem Kalender.

Den Tag heute kann ich nicht frei nehmen. Aber zur Entspannung habe ich mir einen Kaffee und den Anfang vom 1. Johannesbrief gegönnt, habe viel in meiner Bibel angemalt, unterstrichen und daneben geschrieben. Es sieht nicht schön sondern eher wüst aus, als hätte jemand einen Farbkasten über die Seiten gekippt. Ich mag es trotzdem.

Den 1. Johannesbrief liebe ich, weil da wir Leser als „geliebte Kinder“ angesprochen werden. Das lässt mich ganz aufgeregt werden. Dann will ich mich immer bei dem alten Opa Johannes auf den Schoß setzen, und sagen: „Erzähl mir nochmal wie es war, als Jesus friedlich geschlafen hat und ihr dachtet, euer Boot würde im Sturm sinken.“ Und dann würde Johannes lachen, laut und herzlich. Und seine Augen hätten ganz viele und tiefe Lachfältchen, die sich bis hinunter in seinen dichten Bart ziehen würden. Und dann würde er erzählen, wie das war, damals, mit Jesus.Und ich muss mit Lachen, weil seine Fröhlichkeit und Liebe so ansteckend sind. Und dann muss ich mir meine Sonnenbrille holen, weil der Tag plötzlich doch noch ganz hell geworden ist.

One Comment

  • Sonja

    Liebe Tine, was für ein hilfreicher Text! Eine solche Liste sollte ich mir auch anfertigen. Übrigens fand ich auch deinen letzten Eintrag, den über die Grenzen, wunderbar. Er hat was in mir angerührt – es ist ein Thema, mit dem ich mich immer wieder auseinandersetze -, darum konnte ich nicht gleich kommentieren. Herzlichst Sonja

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