alltägliches,  Gedankenflug

Von Himmeln und Nachtspatzen

Gedankenfetzen vom nächtlichen Balkon.

Die Sonne ist hinter dem Horizont verschwunden. Es weht ein lauer Abendwind, der mich ein wenig mit dem heißen Sommertag versöhnt. Ich habe die letzten Stunden in der Wohnung zubringen müssen, da meine Haut (Farbe ‚Weizenmehl Typ 405‘) die Sonne überhaupt nicht vertragen will. Doch jetzt ist die Sonne weg. Ich habe es mir auf dem Balkon gemütlich gemacht, die Füße auf der warmen Balkonbrüstung, genieße die Stille und den Blick über die Stadt.

Wie jeden Abend malt Jesus den Himmel in leuchtenden Farben an. Jeden Tag sieht der Ausschnitt über dem Horizont anders aus, eine individuelle Mischung aus blau, violett, rosa, orange, gelb und weiß. Heute ist er wolkenlos und die Venus beginnt bereits auffällig hell in dem makellosen Blau aufzublitzen.

Ich muss über den Himmel nachdenken. Über den natürlichen Himmel und seinen Farben. Und über den jenseitigen Himmel. Das ist im Deutschen ein wenig verwirrend, weil wir für zwei so unterschiedliche Dinge nur ein einziges Wort haben. Schade eigentlich. Das legt dann nahe, dass beides das gleiche ist, oder zumindest den gleichen Ort meint: irgendwo da oben. Am besten über den Wolken, damit die kleinen dicken Engelchen beim Harfe spielen irgendwo sitzen können. Und wenn es keine Wolken hat, wie zum Beispiel heute, dann fallen die Engel halt runter. Oder sie müssen fliegen. Wie das bei dem Gewicht bei den kleinen Flügelchen gehen soll weiß man zwar nicht, aber bei Hummeln klappt es schließlich auch.
Ich seufze. Ich kenne zu viele Menschen, die das wirklich glauben. Das mit den dicken Engeln, den Wolken und den Harfen. Und die verständlicherweise überhaupt nicht verstehen können, warum ich mich auf den Himmel freue. Dass mein Himmel, ein ganz anderer Himmel ist, das kann ich schwer erklären. Schon länger wollte ich die Bibel durchforsten und alles raussuchen, was über den göttlichen Himmel da drin steht. Aber ich hab’s bisher nicht gemacht. Warum nicht?

Die ersten Fledermäuse beginnen die Runde um unser Haus. Sie haben sich hinter den Waschbetonplatten eingenistet und ich erkläre mir unsere niedrigen Heizkosten unter anderem damit, dass wir mit Fledermäusen dämmen.

Als ich als Kind das erste Mal Fledermäuse sah, dachte ich es wären Spatzen. Besonders schnelle und verwirrend wendige Spatzen. Ich habe sie stolz den Erwachsenen gezeigt, die mich daraufhin korrigierten. Dass wären keine Spatzen, da die Nachts nicht fliegen würden, das wisse doch jeder. Das seien Fledermäuse. Ich kam mir schlagartig dumm vor, zog den Kopf ein und sagte vor Scham erstmal gar nichts mehr.
Heute nehme ich das kleine Mädchen von damals, das sich noch immer schämt, in die Arme und sage versöhnlich: „Ich glaube auch nicht, dass das Fledermäuse sind. Das sind Spatzen. Nachtspatzen, die fliegen nur Nachts. Das hat was mit ökologischer Nischenbildung zu tun, das haben wir doch mal in Bio gelernt. Galapagosinseln, Darwin…Nachtspatzen halt.“

Dann sehen wir gemeinsam den Nachtspatzen beim Fliegen zu. Erwachsen zu sein hat etwas unglaublich befreiendes für mich. Die Lichterkette in den Blumenkästen schaltet sich an.

Die Blumen in den Blumenkästen leben noch immer. Dank der liebevollen Pflege unseres Freundes Heio, der sich während unseres Nordseeaufenthalts um die Pflanzen gekümmert hat. Und meine Obhut hat sich auch noch nicht tödlich auf die Pflanzen ausgewirkt. Ich bin irgendwie stolz. Beton sieht so viel hübscher aus, wenn Pflanzen drüber wachsen. Ein bisschen wie bei mir. Meine grauen Betoncharakterzüge ertragen sich viel leichter, wenn ich meine Blumenseiten besser pflege.

Mein Mann kommt zu mir auf den Balkon, reicht mir ein Glas Weinschorle. Die trinke ich im Sommer gerne. Die Balkonbrüstung unter meinen Füßen ist noch immer angenehm warm. Wie eine Fußbodenheizung an der Wand. Der Wein schmeckt nach Sommer und ich genieße das wattige Gefühl, das er auf meiner Zunge hinterlässt. „Schau mal.“, sagt mein Mann plötzlich leise. „Da war wieder eine Fledermaus.“

Ich schließe die Augen, grinse…und lasse ihn in dem Glauben.

Heimathimmel über Stuttgart

2 Comments

  • Christina

    Natürlich sind das Nachtspatzen! Oder kleine Flugschwalben, die noch üben und deshalb so flattrig sind. AUF KEINEN FALL Fledermäuse!!! Das weiß doch jedes Kind 🙂

Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.