Die Seele geht zu Fuß
Es ist unverschämt warm. Hier, hinter der Fensterscheibe, durch die eine Februarsonne lacht, die so tut als sei Juni. Längst habe ich mich aus meinem dicken Wollpulli geschält, die Augen geschlossen und hänge wie eine geschmolzene Wachspuppe im Trägertop auf meinem Stuhl. Draußen bläst ein kalter Wind, aber davon bekomme ich hier nichts mit. Hier ist die Illusion von Sommer und ich bin gerade nicht gewillt sie mir nehmen zu lassen.
Meine Seele kommt zur Zeit nur langsam mit. Egal ob ich abends auf dem Sofa sitze, Freunde besuche, arbeite oder mich ins Bett kuschle. Meine Seele flackert wie ein Irrlicht hinter mir her und versucht den Ort zu finden, wo sich der Rest von mir aufhält. Wenn sie ankommt, bin ich aber meist schon wieder weg.
Die Hobbytheologin in mir verdreht bei diesen Gedankengängen die Augen, denn das hebräische Wort für Seele – nefesh – meint den kompletten Menschen. Da gibt es keinen kleinen Lichtball der, getrennt vom Rest, kopflos umherirrt.
Und dennoch beschreibt das Bild mein aktuelles Lebensgefühl am besten. Meine Gedanken sind zu schnell, meine körperlichen Aufenthaltsorte zu unterschiedlich, als dass ich das Gefühl hätte, ganz bei mir zu sein. Mein Leben gleicht einem Bienenschwarm. Und meine Seele ist die kleine dicke Hummel, die versucht nicht abgehängt zu werden.
„Die Seele geht zu Fuß.“ Das habe ich mal irgendwo gelesen. Ich gehe selten zu Fuß. Ich fahre mit der Bahn, dem Auto und an ganz schlimmen Tagen, steige ich sogar in Flugzeuge. Die Welt ist riesig, aber weil sie für uns klein geworden ist, müssen wir uns schneller bewegen. Zu schnell? Und dann ist da noch das Internet, das einen Großteil meines Alltags diktiert. Eine Welt, in welcher Distanzen keine Rolle spielen, sondern Daten, Informationen, Content. Auch hier bewegt sich alles schnell.
Die Sonne wärmt meine Haut und dringt langsam bis zu meinen winterkalten Knochen durch.
Wir brauchen Zeiten der Ruhe. Ich brauche sie. Jesus hat sie gebraucht. Er hat sie sich auch genommen. Frühmorgens oder spätabends mit dem Vater allein. Oder mit seinen Jüngern. Zu Fuß zwischen den Wirkungsorten seines Lebens.
Es ist nicht meine große Stärke Pausen zu machen. Still zu sein. Auch wenn ich Ruhe liebe – lieben will – macht sie mich oft nervös. Meine Gedanken werden dann lauter. Und bevor sie anfangen zu schreien, schaue ich lieber schnell auf’s Handy und schreibe ein paar Nachrichten, mache ein paar Termine aus. Und meine Seele hummelt tapfererschöpft hinter mir her.
Jesus, lehre mich still zu sein. Du warst zu deinen Zeiten als Mensch Meister darin. Und ich möchte es lernen. Ich weiß, ich bin blutiger Anfänger, aber du bist ein sehr guter Lehrer. Ich vertraue dir.
7 Comments
Petra H.
Liebe Tine!
Ja, das, was in mir schreien will, lass ich auch nicht gerne zu Wort kommen. Manchmal will es ohne Worte schreien und das ist mir dann doch unheimlich. Dann weiss ich gar nicht, was Sache ist und kann was tun…..!
Da hilft dann ……uuuhhh…..ich verrat’s dir…….Block Puzzle Mania…….soooo peinlich…..jetzt weiß es die Welt, bzw. alle Mitleser.
Auch ich will lernen, neu lernen, immer wieder lernen, mit meinem inneren Geschrei zu Jesus zu gehen. Ja, es wahrnehmen, mich aber nicht davon aus der Ruhe, der inneren Ruhe bei Jesus, meinem Freund, bringen lassen. Ha, klingt so einfach. LEBENSSCHULE!!!!!!!
Wollen wir nebeneinander sitzen?
Das fragt dich und grüßt sehr herzlich
Petra H.
Tine
Block Puzzle! Ach du bist so wunderbar 😆
Und ja: ich möchte wahnsinnig gerne in der Lebensschule neben dir sitzen. Jetzt hab ich ein richtig warmes Gefühl im Bauch.
Dörte
Liebe Christine
gestern kam die neue Joyce bei mir an und gerade habe ich sie beim zweiten Kaffee durch geblättert. Ich habe deinen Artikel gelesen und heule. Du schreibst genau so wie es mir geht! In den letzten fast 20 Jahren bist du die Erste und ich hab schon viele Artikel gelesen! Danke dafür. Sei gesegnet! Gruß Dörte
Tine
Liebe Dörte,
als ich deinen Kommentar las, musste ich mit den Tränen kämpfen – mein Mann war schon ganz alarmiert, als ich plötzlich schniefend neben ihm saß.
Danke, dass du dir die Mühe machst extra auf den Blog zu kommen und einen Kommentar zu schreiben. Es tut so gut zu spüren, dass man nicht alleine ist. Und gleichzeitig tut es weh zu sehen, wie isoliert wir oft mit unseren Schmerzen sind, die sich – so individuell sie auch sind – vielleicht gar nicht so sehr unterscheiden.
Ein lieber Gruß & Segen zu dir
Tine
Petra S.
Liebe Tine ,
Ich bin normalerweise kein Mensch der Kommentare schreibt, weil ich im Netz nicht so öffentlich sein möchte.Durch meine Freundin Petra H. bin ich auf deinen Blog aufmerksam geworden und lese ihn nun regelmäßig mit Genuss! Aber das Allerbeste war der Artikel in der Joyce. Als selbst Betroffene der älteren Generation habe ich selten bis gar nicht so einen guten, ehrlichen Artikel gelesen. Vielen Dank dafür. Und deshalb werfe ich alle meine Vorbehalte über Bord und schreibe einen Kommentar! Ganz lieben Gruß Petra!
Tine
Liebe Petra,
das bedeutet mir so viel, was du schreibst. Danke, dass du eine Ausnahme gemacht und den Kommentar verfasst hast.
Nach dem Artikel war ich unsicher. Ich dachte, dass es ein Randthema ist. Aber inzwischen kamen so viele Zuschriften und Reaktionen, dass sich mein Bild völlig verändert hat. Wir sind gar nicht so wenige, wie ich dachte.
Fühl dich umarmt. Und noch einmal Danke.
Ein lieber Gruß zu Dir
Tine
Sula
Danke für diesen Blogpost. Was für eine treffende Formulierung du gefunden hast für diesen Seelenzustand: „Meine Seele flackert wie ein Irrlicht hinter mir her und versucht den Ort zu finden, wo sich der Rest von mir aufhält. Wenn sie ankommt, bin ich aber meist schon wieder weg.“ Deine Worte berühren immer wieder, die Tiefe deiner Texte spricht mich an. Eine richtige Schatzkiste dein Blog! Einzig schade dass abonnieren des Blogs nicht klappt und ich so immer wieder vergesse reinzuschauen… Danke für deine Ehrlichkeit und Offenheit, für dein Teilen!