Am Kaffeetisch
Es regnet. Der Gatte und ich drängen uns gemeinsam unter einen Regenschirm. Er in kurzen Hosen, denn es ist schließlich noch August und damit Hochsommer. Ich im Wollpulli, da mir seit Tagen kalt ist.
Nach einigem Suchen finden wir Straße und Hausnummer unserer Zieladresse. Wir besuchen Freunde. Sie gehören zu diesen seltenen und wunderbaren Freundschaften, die auch mit zeitlicher Distanz gut funktionieren. Wir sehen uns nur einmal im Jahr. Und da sie letztes Jahr bei uns waren, ist unser Besuch bei ihnen nun schon zwei Jahre her. Das Haus kommt mir dennoch vage bekannt vor. Ich bin ein bisschen stolz auf mein Gedächtnis. Drinnen empfängt uns warmes Licht, frisch gebackener Kuchen und zwei strahlende Lächeln.
Andrej und Tatjana haben wir bei einem Gottesdienst kennen gelernt. Sie besuchten unsere Gemeinde und Andrej fragte uns direkt: „Was macht eure Gemeinde besonders?“ Unsere stolze Antwort: „Wir lieben Jesus und wir leben Gastfreundschaft.“ Worauf Andrej uns anstrahlte und sagte: „Oh, das ist toll, dann kommen wir nach dem Gottesdienst mit zu euch nach Hause zum Mittagessen.“
….
Haben wir gemacht. Wir konnten ja auch schlecht ablehnen. Also haben wir Andrej und Tatjana mit zu uns nach Hause in unsere unaufgeräumte Wohnung genommen und haben aus den kläglichen Essensresten im Kühlschrank ein Mittagessen gebastelt. Seitdem sind wir befreundet.
Das Gespräch startet auch diesmal tief. Auf meine Frage, wie es den beiden geht, bekomme ich die Gegenfrage, welcher Lebensbereich mich interessiere. Und so arbeiten wir uns von Gemeinde über Familie bis hin zum Glaubensleben durch. Abwechselnd erzählen wir, fragen nach, lachen, trinken Tee und Kaffee.
Nachfragen. Das ist Andrejs große Stärke. Er hat eine Art, die keine Ausreden oder vage Antworten zulässt.
- „Wolltest du nicht letzten Herbst mit dem Studium fertig sein? Warum bist du es noch nicht?“ Kein Vorwurf. Nur eine Frage.
- „Verbringt ihr als Paar Zeit miteinander?“
- „Was macht dein Gebetsleben?“
- „Wie entwickelst du deine Gaben, die Gott dir gegeben hat?“
- „Wie verbringst du deine Zeit?“
Solche und ähnliche Fragen kommen. Nie platt, sondern voller echtem Interesse. Er bohrt so lange, bis man entweder sagt: „Darüber möchte ich nicht reden.“ oder bis man die Antwort wie ein Bild vor sich ausgebreitet hat. Mit allen Licht- und Schattenseiten. Manchmal tut es dann weh, so ein ehrliches Bild von sich selbst zu sehen. Wer gibt schon gerne zu, dass man im Alltag den wirklich wichtigen Sachen keine Priorität gibt.
Doch inzwischen liebe ich diese Unterhaltungen. Denn hier werde ich mit mir selbst konfrontiert. Mit meinen eigenen Ausreden und Halbwahrheiten, mit denen ich mich durch meinen Alltag manövriere. Aber auch mit meinen Erfolgen und Glücksmomenten.
Die Zeit verfliegt. Draußen prasselt immer noch der Regen. Es ist Zeit zum Aufbruch. Umarmungen, das Versprechen sich wieder zu besuchen. Ich spüre Bedauern. Ich hätte solche Gespräche gerne öfter. Wie sehr könnten wir Christen uns gegenseitig beim Wachstum helfen, wenn wir auch unangenehme Fragen stellen würden. Wenn wir tiefer gehen würden, uns nicht zu schnell mit Ausreden gegenseitig auf die Schultern klopften um zu sagen: „Ach, ist nicht so schlimm. Dein Verhalten tut dir zwar nicht gut, aber wenn es grad nicht anders geht, dann mach halt so weiter.“ Ich wünsche mir, mehr ehrliche und herausfordernde Gespräche im Alltag. Und dann bin ich halt doch wieder froh, dass ich mich in meine Bequemlichkeit fallen lassen kann. Zumindest manchmal.
2 Comments
Vera
Das spricht in mir auch so eine tiefe Sehnsucht an, liebe Tine und ist sozusagen „Seelsorge am Küchentisch“. Hab mal das gleichnamige Buch gelesen, da ich davon überzeugt bin, dass dieser ganze Bereich tiefgängier Gespräche und gegenseitiger Begleitung gerade unter Christen nicht immer zu stark auf professionelle Seelsorge reduziert werden ,sondern etwas ganz Natürliches sein sollte. Auch selbst möchte ich immer wieder gute Fragen stellen, die von der Oberfläche wegführen. Als eher introvertierte Frau fallen sie mir leider oft erst hinterher ein, doch interessiertes Zuhören ist ja oft auch schon keine Selbstverständlichkeit. Ebenso sehne ich mich danach, immer wieder ruhig vor Gott zu werden um zu erkennen, welche Fragen er mir gerade stellen möchte. Wie gut, dass uns da der heilige Geist immer mal wieder aufrüttelt und das auf vielerlei Weise 🙂
Liebe Grüße von Vera
Tine
Liebe Vera,, oh ja da sprichst du was wahres an mit den Seelsorgegesprächen. Ganz lange war ich eingeschüchtert, wenn mir Leute von ihren Problemen erzählt haben und ich war schnell dabei jemand professionellen zu empfehlen. Aber inzwischen habe ich gemerkt, dass die Leute gar nicht erwarten, dass ich sie `heile‘ oder irgendetwas bahnbrechend tolles rate….sondern eben einfach nur zuhören. Fragen stellen. Beten. Und manchmal eben auch gemeinsam hilflos sein, lachen, weinen.
Und ich finde du bist eine tolle Zuhörerin. Mit dir zu reden tut so gut.