alltägliches

Virtueller Smalltalk

„Martin, es tut  mir leid, aber ich habe keine Ahnung wovon du sprichst.“ Ich könnte meine Kommilitonen küssen. Sie hat dem Dozenten offen das gesagt, was ich mir nur heimlich gedacht habe: Ich bin so müde, der Stoff ist kompliziert, du hast mich inhaltlich abgehängt.

Wir sitzen seit neun Uhr morgens vor den Bildschirmen der virtuellen Bibelschule und inzwischen ist das Nachmittagstief dazu gekommen. Ich habe wenig geschlafen in den letzten Nächten. Es ist mal wieder meine ‚ich kann nicht einschlafen, ich kann nicht durchschlafen – Phase‘. Die hab ich ein paar Mal im Jahr. Sie kommt und geht wie es ihr passt. Der Schlaf und ich sind gerade keine Freunde. Im Moment bin ich mir allerdings ziemlich sicher, dass ich sofort einschlafen könnte.

Der Dozent ist nicht sauer. Niemand kann auf Antje sauer sein. Sie ist so wunderbar und unkompliziert, dass sie sich einfach in jedes Herz grinsen kann. In meines auch. Wir beschließen alle kurze Pause zu machen und der komplette Kurs stürzt an die jeweiligen Kaffeemaschinen.

Ich mag es von zu Hause aus lernen zu können. Ich mag es hier eine Kaffeeflatrate zu haben, den Kühlschrank griffbereit zu wissen und gerade würde ich es auch mögen, mich auf die Couch zu legen und Schlaf nachzuholen. Vor allem aber mag ich es, mich jederzeit aus dem Pausensmalltalk ausklinken zu können, ohne dabei den Raum verlassen zu müssen. Kamera aus, fertig.

Gleichzeitig merke ich, dass es mich verändert, wenn ich mich diesen Situationen nicht mehr aussetzen muss. Wenn ich nicht mehr nach Worten suchen muss um ein Gespräch mit Menschen anzufangen, die ich kaum kenne. Wenn ich in den Seminarpausen nicht meinen Glauben, bzw. meine Theologie verteidigen muss oder meine Meinung über den Unterrichtsstoff teilen soll. Nicht, dass ich diese Situationen mag – ich mag sie überhaupt nicht. Dennoch merke ich – jetzt wo ich sie seit einem Jahr nicht mehr habe – dass sie mich trainiert haben. Trainiert mit anderen in Kontakt zu treten, zuzuhören, wertzuschätzen und mich selbst abzugrenzen.

Was ich auch merke ist, dass ich nicht entspannter und freundlicher werde, jetzt wo ich diese Situationen nur noch selten habe. Im Gegenteil. Ich bin unwilliger und ungnädiger geworden. Mit mir selbst, aber vor allem mit andren. Kein schöner Charakterzug.

Also schalte ich meine Cam etwas früher an und versuche mich an den Pausengesprächen zu beteiligen. Es klappt nur mäßig – also eigentlich gar nicht. Aber ich hab es versucht. Das ist okay, finde ich. Ein Anfang.

Nach und nach trudeln auch der Rest des Kurses wieder ein, die meisten mit einer Kaffeetasse bewaffnet. Antje hat trotz Espresso Augenringe, und scheint inhaltlich weiterhin nur schlecht folgen zu können. Ich komm auch nicht wirklich mit. Da blinkt mein Chatfenster. Sie schickt ein paar Zeilen und Smileys. Wir schreiben im Privatchat hin und her, ich kichere viel und komme mir vor wie 13. Wir schreiben über die restliche Zeit vom Kurs. Nicht sehr hilfreich fürs Verstehen vom Kursinhalt. Aber wenigstens hab ich Kommunizieren geübt. Und diesmal hat es richtig Spaß gemacht.

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