alltägliches,  Gedankenflug

Die Sache mit der Selbstverleugnung

Selbstverleugnung. Ein Wort, über das man immer mal wieder im Neuen Testament stolpert. Bei mir löst es, je nach Grundstimmung, Resignation, Schuldgefühle oder Aggression aus. Und in letzter Zeit auch Neugier.

Denn derjenige, der Selbstverleugnung verlangt ist schließlich Jesus. Dieser Jesus, der mir über die letzten Jahre mit schier unendlicher Geduld bewiesen hat, dass er mich wirklich liebt – auch an meinen nicht so sonnigen Tagen. Auch und gerade dann, wenn ich an mir selbst überhaupt nichts liebenswertes finde.

Wenn also dieser Jesus, der in Menschen ganz vernarrt ist, sagt, dass man sich selbst verleugnen soll, dann kann damit nicht das gemeint sein, was mir so oft begegnet. Nämlich ein getarnter Selbsthass.

Wenn aber das nicht gemeint ist, was ist dann gemeint?

Mein Selbstwertgefühl war nie wirklich groß, der Wunsch zu gefallen dafür riesig. Daher versuchte ich mein Verhalten an die Erwartungen anderer anzupassen. Wenn es langweilige Aufgaben zu erledigen gab, dann meldete ich mich. Einerseits in der Hoffnung Lob zu bekommen. Andererseits in der stillen Überzeugung, dass die Zeit der anderen ohnehin viel zu kostbar war, um sie mit einer langweiligen Aufgabe zu verbringen. Ich dachte dann, das wäre diese Selbstverleugnung. Heute weiß ich, dass es das nicht war. Denn es gab überhaupt kein Selbst, dass ich hätte verleugnen können. Es gab nur Fremderwartung.

Erst nach und nach, als mein Selbstwertgefühl wuchs (es ist ganz schön schwer, immer wieder von einem Gott gesagt zu bekommen, wie wunderbar er einen findet und kein wachsendes Selbstwertgefühl zu haben), wuchs auch der Mut, zu mir selbst zu stehen. Ja zu sagen, wenn ich Ja meinte. Und Nein zu sagen, wenn ich Nein meinte. Und nicht, weil ich glaubte, dass andere es hören wollten. Aufgaben dann zu übernehmen, wenn ich Zeit und Lust dazu hatte. Das Wort ‚Nein‘, öffnete mir ganz neue Türen und mit Ende 20 erlebte ich sowas wie meine erste Trotzphase. Sehr zum Leid meiner Mitmenschen.

„Tine könntest du mal..?“…“NEIN.“ „Aber du weißt doch noch gar nicht…“…“NEIN.“

Berauschender Zustand. Jetzt, wo meine kleine Nichte in dieser Phase ist (bemerkenswerter Weise mit 3, nicht mit 30), merke ich, wie irre anstrengend das ist: herauszufinden wer man ist.  Das ist für alle Beteiligten ein Nervenkrieg. Aber es ist notwendig.

Inzwischen hat sich mein Verhalten normalisiert. Ich sage Ja, wenn ich Ja meine und kämpfe nach wie vor, mir das ‚Nein‘ zu erhalten. Das klappt nicht immer.

Doch ich lerne immer mehr meine eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen und bewusst zurück stellen und mich für die Bedürfnisse anderer zu entscheiden. Nicht, weil ich Angst habe, sonst nicht geliebt zu sein. Sondern weil ich andere wertschätzen will.

Das ist eine bewusste Entscheidung und die geht ab und zu auf Kosten meiner Freizeit, meiner Bequemlichkeit und auch meiner Bedürfnisse. Ich verwirkliche mich in dieser Zeit nicht selbst, sondern gebe anderen und deren Bedürfnissen Raum. Ohne mich selbst zu hassen. Ohne mich von anderen und deren Bewertungen abhängig zu machen. Einfach nur, weil ich weiß, dass es Jesus zum Lächeln bringt. Und mich auch.

2 Comments

  • christina

    Ach so schön geschrieben, liebe Tine! Ich kenn das so gut: Selbstverleugnung obwohl man eigentlich gar nicht weiß wer man selbst ist und was man gerne will. Ganz langsam wird es gesünder. Und dieses: „einfach nur weil es Jesus zum Lächeln bringt“ klingt wunderbar! Danke für die Erinnerung. Ich schick Dir eine dicke Umarmung!!!

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