Loslassen lernen
Ein paar kurze Gedanken. Sortiert auf der Autobahn auf dem Weg von A nach B. Aufgeschrieben auf einer Gästecouch. Das Herz voll von Fragen, Emotionen, Dankbarkeit und der ambivalenten Sehnsucht nach Stetigkeit und Aufbruch.
Goldener Herbst. Weinberge bei Würzburg in leuchtendem Gelb. Kiefernwälder um Berlin in sattem und vom Herbst unbeeindrucktem Grün. Efeuranken in tiefem Rot. Das meiste sehe ich durch Autoscheiben hindurch an mir vorbei ziehen. Heute bin ich auf dem Weg nach Basel und sitze selbst hinterm Steuer meines quietschenden Kleinwagens. Gestern war ich noch in Berlin und habe alles vom Rücksitz aus, durch die getönten Scheiben eines fremden Mercedes, beobachtet. So schnell wie die Landschaft und die Kilometer an mir vorbei fliegen, so schnell scheint auch die Zeit zu vergehen. Eigentlich ver-geht die Zeit nicht, sie ver-rast. Es ist schon Mitte Oktober. Bald sind die Bäume kahl und das frische Laub wird anfangen zu modern. Das Loslassen fällt mir schwer.
Es war schön in Berlin. Ich durfte zu einer Konferenz und habe dort viele Menschen getroffen, die ich nur einmal im Jahr sehe. Menschen, die an den unterschiedlichsten Orten der Welt für Jesus am Start sind. Es war wunderbar all die Geschichten zu hören, gemeinsam zu beten, zu lachen, zu singen und zu essen. Kulturunterschiede zu atmen und Sprachbarrieren wegzukichern. Aber es ging viel zu schnell vorbei. Plötzlich war nicht mehr Freitagabend, sondern Sonntagmorgen. Aufräumen, verabschieden. Einige werden in Regionen fliegen, wo es lebensgefährlich ist, Christ zu sein. ‚Gott befohlen‘, bekommt eine andere Tiefe. ‚Bis nächstes Jahr, so Gott will und wir leben.‘ Ich will die Umarmung nicht lösen. Das Loslassen fällt mir schwer.
Nun bin ich in der Schweiz und Berlin scheint weiter entfernt als die 860 Kilometer. Mein Inneres kommt nur langsam mit. Das merke ich an meinen Träumen. Sie sind chaotisch und überladen. Papas Tod drängt in ihnen nach oben und bringt die Erinnerungen an Mamas Sterben mit sich. Beide sind an Krebs gestorben. Beide Male hielt ich die Hände am Sterbebett und ein Teil von mir hält sie noch immer fest. Das Loslassen fällt mir schwer.
Ich bin kein großer Freund vom Wandel. Das fällt mir umso mehr auf, als Gott mich mit Abenteurern in eine Familie und eine Gemeinde gesteckt hat. Da sind Menschen, die den Wechsel feiern, die neugierig das Neue begrüßen. Menschen, die wundervolle Visionen von einer Zukunft haben und die mutig und fröhlich voran gehen. Während ich mich am liebsten mit Decke und Kuschelkissen in eine Ecke verdrücken würde um skeptisch zu gucken.
Mein Leben lehrt mich gerade, dass ich loslassen muss, um weiter zu gehen. Und dass es keinen Sinn macht, stehen zu bleiben. Denn das Leben bleibt nicht stehen. Zum Glück habe ich Menschen um mich herum, von denen ich die Schönheit des Loslassens lernen darf. Einfach indem ich sie beobachte. Und ich habe einen Gott, dem ich vertrauen kann und der leise und geduldig auf mich einredet, bis ich bereit bin, die Sicherheit meiner Ecke zu verlassen.