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Schlaflos

Es ist so dunkel, dass ich die Zimmerdecke nicht erkennen kann. Ich starre trotzdem hoch. Bis eben habe ich noch tief geschlafen. Jetzt nicht mehr. Es gab kein Geräusch, das mich geweckt hat. Auch mein Herz schlägt ganz ruhig und gleichmäßig. Aber da ist keine Spur von Müdigkeit mehr. Als hätte ich nicht bis vor zehn Sekunden geschlafen, sondern nur geblinzelt. Ich angle nach dem Handy, um auf die Uhr zu sehen und schlage mir die Hand an dem fremden Bettrahmen an. Ich unterdrücke ein Schimpfen, um Achim nicht zu wecken, der im anderen Bett schläft. Kurz nach 1 Uhr.

Diese Art von Aufwachen ist selten bei mir. Normalerweise schnellt beim Aufwachen mein Puls hoch und ich bekomme meine erste Tagesdosis Adrenalin. Kickstart my day. Die Male, bei denen ich so wach geworden bin wie jetzt, kann ich an einer Hand abzählen. Bisher passierte es immer aus einem Grund: Jesus will mir etwas sagen. Und ich kann mir denken was. Ich drehe mich im Bett um, umarme mein Kuschelkissen, vergrabe mich tiefer in der Decke und presse die Augen zusammen. Vielleicht klappt es, dass ich doch wieder einschlafe.

Tut es nicht.

Zehn Minuten später, gebe ich seufzend auf und gehe ins Gebet. Es fällt mir schwer. Ich bin aufgewühlt und meine Emotionen toben. So wie der See Genezareth getobt haben muss, als die Jünger im Boot saßen. Ich sehe Jesus auf mich zukommen, über meine Gefühlswellen hinweg. Aber anstatt, dass er dem Sturm Einhalt gebietet und mich ruhig macht damit wir reden können, lockt er mich aus meinem Boot. Was so ziemlich das Letzte ist, was ich gerade möchte.

Am Tag zuvor waren Achim und ich auf dieser Konferenz angekommen. Es war aufwühlend: Menschen, die ich seit Jahren nicht gesehen hatte, endlich wieder umarmen zu können. Zu sehen, wie aus Menschen der nächsten Generation Paare und aus Paaren Familien geworden sind. Der Stich, dass ich langsam zu den Alten gehöre – zu den Alten und kinderlosen. Als würde das Leben weitergehen – ohne mich. Ich darf nur zusehen. (edit: Was natürlich nicht wahr ist. Ich lebe sehr wohl ein Leben. Nur kann ich das in manchen Situationen nicht so klar sehen.) Dann das Aufeinandertreffen mit Menschen, mit denen nicht alles im Reinen ist. Trotz Aussprachen und Vergebung steht eine Mauer zwischen uns, die es uns fast unmöglich macht, uns bei der Begrüßung in die Augen zu sehen. Die Zeit des nicht-sehens scheint die Mauer nur dicker, statt bröseliger gemacht zu haben.

Nun liege ich hier, in einem stockfinsteren Herbergszimmer und versuche genau diese Mauer nicht anzusehen. Ich hab‘s schon so oft versucht sie niederzureißen und jedes Mal tat es danach mehr weh als vorher. Jesus ist nah am Boot und hilft mir heraus. Seufzend gebe ich nach – vorher werde ich ja ohnehin keinen Schlaf finden.Ich versuche in dem Gefühlschaos einen Anhaltspunkt zu finden. Ich fühle mich ungerecht behandelt. Es sind böse Worte gefallen. Verhalten, dass mich tief verletzt und verunsichert hat. Dinge, die ich als falsch und unfair empfinde. Menschen, die mich in eine Ecke gestellt haben, in die ich nicht wollte. Ehe ich es mich versehe, befinde ich mich in einem inneren Dialog, in dem ich abwechselnd meine Position verteidige um dann wieder möglichst harte Sätze zu formulieren, die nur ein Ziel haben: zu verletzen. Mein Frust, meine Wut und Enttäuschung, die seit Jahren im inneren Sumpf gelegen haben, brodeln hoch. Und überhaupt, wie kann man mit mir nicht klar kommen, ich bin doch so nett!! Im Gegensatz zu den anderen. Überhaupt scheine ich die einzig normale Person in dem ganzen Haufen zu sein.

„Wolltest du diese Woche nicht deinen Fokus aufs Segnen richten? Das ist also das, was du mit Segnen meinst?“ Die ruhige Stimme von Jesus dringt in mein Bewusstsein. Er musste nicht mal Schreien, um sich im Sturm Gehör zu verschaffen.

Nein. Nein es ist nicht Segnen. Ich bin so wütend, verstört und verärgert, dass ich genau das Gegenteil tue. Ich will in Gedanken mein Gegenüber klein halten, will die Verletzungen weiter geben, die ich spüre.

Es braucht Zeit. Es braucht in dieser Nacht viel Zeit, bis ich mich dazu durchringen kann, das erste Segnungsgebet zu sprechen. Es kostet Überwindung. Mein Ego jault gequält. Aber der Sturm flacht ab. Immer wieder, wiederhole ich das kurze Gebet. Jesus spricht es mit. Und schließlich sinkt es in mein Herz und ich kann meinen, was ich sage.

Als es vorbei ist, schaue ich auf den Haufen aus meinen Verletzungen und Wunden. Es ist jetzt so ruhig in mir, dass ich sie besser sehen kann. Jesus stellt sich dazu. Wir werden sie einzeln durchgehen. Jesus wird sie heilen. Sie werden nicht unter den Teppich gekehrt. Ich bin Jesus wichtig und er wird dafür sorgen, dass jede dieser Wunden versorgt ist. Doch nicht mehr heute Nacht. Heute Nacht war gefühlt eine OP am offenen Herzen. Jetzt braucht es Pause und Schlaf.

Der nächste Schritt wird sein, noch einmal das Gespräch mit den Personen zu suchen. Schritt für Schritt. Das Meine zu tun, damit die Mauer verschwindet, unter der die anderen wahrscheinlich ebenso leiden wie ich. Und falls sie das nicht tun, kann wenigstens ich mit der Sache abschließen.

2 Comments

  • Petra H.

    Liebe Tine!
    So fantastisch, dein Beitrag! Ja, wenn wir beginnen, einen neuen Weg zu gehen, ploppt plötzlich so manches hoch, was wir lieber im Keller unseres Selbst belassen würden. Schmerz noch einmal fühlen ist nicht angenehm. Danke für dein teilhaben lassen. Und das tröstliche ist, Jesus kennt Schmerz, Er ist der „Schmerzensmann“. Wie muß das weh getan haben, als Er da am Kreuz hing, für all unsern/meinen …Scheiß…! Ich wünsch dir viel Mut, Wagemut – Demut. Grüße von Petra H.

  • Sonja

    Liebe Tine, ich liebe deine Ehrlichkeit – habe ich das schon einmal gesagt? 😉 Genauso funktioniert Nachfolge. Und obwohl wir das wissen, ist es doch jedesmal Gnade, wenn wir uns dem Training und der Liebe Gottes aussetzen können. Also ich habe auch lieber Sturmstille aus Aufstehen und Loslaufen… Danke!

    … und dein Erzählen über deinen Schmerz geht mir als Mutter sehr nahe. Ich bin froh, darüber zu hören, und es arbeitet in mir, erweitert meine Sicht und mein Herz.

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