Alltagsfreiheit
Müde komme ich in die Küche geschlichen. Draußen ist es noch dunkel, hier drinnen riecht es bereits verlockend nach Frühstück. Mein Mann drückt mir den Kaffee in die Hand, den er eigentlich für sich gemacht hatte. Ich schnurre ein Dankeschön, was sich aber mehr nach einem Grunzen anhört.
Unsere Küche ist klein. Zu klein um einen Tisch oder auch nur einen Stuhl unterzubringen. Wenn man sich hier hinsetzen will, ist man gezwungen den Boden zu nehmen. In meinem Alter überlegt man sich das zwei Mal, man muss schließlich irgendwann auch wieder hoch.
Also verlasse ich die kuschelige Küche und wandere ins dunkle Wohnzimmer. Hier leuchtet nur ein Lichterschlauch, der ursprünglich mal als Weihnachtsdeko gedacht war, von dem ich mich im Januar aber einfach nicht trennen wollte.
Der Sommer mit seiner warmen Trägheit ist vorbei und der Alltag hat uns seit zwei Wochen wieder. Ich lehne mich an die Wand neben der Balkontür und schaue nach draußen über die noch schlafende Stadt. Alltag. Das Wort Alltag wird oft so gebraucht, als wäre darin kein Platz für Farben. Als wäre Alltag der Ort, wo sich drückende Gewichte auf die Brust legen, das Atmen schwer machen und jegliche Leichtigkeit erstickt. Alltag, der Ort der Arbeit, der Fremdbestimmung und der Sehnsucht nach der Freiheit. Zumindest war es für mich lange Zeit so.
Aber wer sagt, dass es so sein muss? Wer darf bestimmen, wie wir unseren Alltag leben? Jesus hat gesagt, dass wir zur Freiheit berufen sind. Nicht nur an den Wochenenden, nicht nur im Urlaub. Freiheit, das bedeutet entscheiden zu dürfen, wie ich mein Leben gestalten und sehen möchte. Nicht nur in den großen Entscheidungen, sondern vor allem auch in den kleinen. Manche Dinge müssen gemacht werden, aber mit welcher Einstellung ich sie mache, das darf mir niemand vorschreiben. Es sind die kleinen Momente, die ein Leben lebenswert machen.
Jahrelang habe ich mich als Opfer meiner Arbeit gesehen. Getrieben von Pflichten hetzte ich von einem Termin zum nächsten, während der Perfektionismus es mir unmöglich machte eine Aufgabe zu meiner Zufriedenheit abzuschließen. Kurz vor der Deadline presste ich es irgendwie noch in Form und fühlte mich hinterher mies. Einen Großteil meiner Studienzeit habe ich so verbracht. Schade, denn eigentlich liebe ich es zu lernen.
Wann habe ich angefangen mich dagegen zu wehren, mich als Opfer meines Lebens zu sehen?
Ich stoße mich von der Wand ab, gehe zum Tisch, mache das kleine Licht an und öffne meine Bibel und mein Notizbuch. Die nächste Stunde gehört Jesus und mir. Achim gesellt sich dazu und jeder von uns liest schweigend und versinkt in seinen eigenen Gedanken. Ich glaube, für mich hat der Wechsel hier angefangen. Hier, in dieser Stunde, die ich genießen darf, bevor alle anderen wach sind. Hier habe ich erfahren was es heißt für seine eigenen Lebensziele zu arbeiten. Manchmal müde und nicht immer mit überschäumender Begeisterung. Aber mein Ziel ist es Jesus immer näher kennen zu lernen und mich von ihm prägen zu lassen. Das braucht Zeit, also nehme ich sie mir, auch wenn das bedeutet, dass ich mich nicht nochmal im Bett umdrehen kann. Auch wenn es bedeutet, dass mir Menschen, die davon Erfahren, mit Skepsis begegnen. (Das fällt mir überhaupt nicht leicht, denn am Liebsten werde ich von jedem – und zu jeder Zeit – gemocht.)
Es gibt noch einige Lebensbereiche, in denen ich nicht recht weiß, wo ich hin will. Oft merke ich erst was ich mir wünsche oder was ich vermisse, wenn ich es bei anderen sehe und anfange sie darum zu beneiden und sehnsüchtig zu beobachten. Am Anfang habe ich mich geschämt, dass ich neidisch bin. Stolz bin ich darauf immer noch nicht, aber inzwischen versuche ich den Neid als Indikator für meine eigenen Träume zu sehen und Menschen dafür zu Segnen, dass sie den Mut haben, für ihre Träume gerade zu stehen und in sie zu investieren.
Nicht alle meine Träume sind umsetzenswert oder umsetzbar. Manche schließen sich sogar gegenseitig aus. Aber es liegt an mir mich zu entscheiden und dann mutig für das zu arbeiten, was ich erreichen kann. Immer in Absprache mit Jesus und mit meinem Mann. Aber die beiden lassen mir erstaunlich viel Freiraum. Zumindest deutlich mehr als mir meine Ängste, Sorgen oder meine Trägheit lassen.
Draußen wird es langsam hell und ich werde wacher. Ein neuer bunter Alltag. Und ein Tag voller Dankbarkeit, dass ich frei sein darf.