Zerknautschtes Neues Jahr
Neujahr ist vorbei. Mein Schlafrhythmus ist über die Feiertage völlig aus den Fugen geraden. Meine Gedanken und Emotionen sind unsortiert, was der Psychothriller, in dem ich mich die letzten Tage verloren habe, nicht unbedingt besser gemacht hat. Schön war’s trotzdem. Innerlich verknotet versuche ich die losen Fäden meines Lebens, die ich kurz nach Weihnachten fröhlich hab fallen lassen, wieder aufzunehmen. Eigentlich wollte ich doch das neue Jahr geplant haben. Wie immer. Aber trotz ausbleibender Grippe (juhuu, mit der ungeliebten Tradition gebrochen!) habe ich es nicht getan zwischen den Jahren. Und jetzt steuere ich etwas unkoordiniert in den Januar.Es ist früher Morgen. Draußen ist es stockdunkel, was mir aber ganz gut passt. Ich bin übermüdet und meine Augen sind noch entsprechend lichtempfindlich. Daher leuchtet heute Morgen nur die kleine Nachtischlampe, die ich mit an den Schreibtisch genommen habe. Mein Mann ist bereits wach, nippt an seinem Kaffee und ist in die Bibel versunken. Neidisch beobachte ich ihn einen Moment lang aus dem Augenwinkel. Seine Konzentrationsfähigkeit liegt deutlich über meiner. Neben ihm könnte jetzt irgendwas in Flammen aufgehen, aber er würde dennoch erstmal seinen Abschnitt zu Ende lesen.
Ich wickle mich in eine Decke und setze mich an den Tisch. Würde ich mich jetzt auf das Sofa fallen lassen, würde ich sofort einschlafen. Ich schnuppere am Kaffee gegen meine Müdigkeit an und widerstehe der Versuchung mich einfach wieder ins Bett zu legen. Den Bibelleseplan schiebe ich zur Seite. Ich könnte die Konzentration ohnehin nicht über drei Kapitel halten. Also greife ich nach dem kleinen Heft mit den ‚Morgengrüßen‘, das Achim so sehr liebt und in dem für jeden Tag des Jahres ein Spruch und eine Bibelstelle steht. Fast wie die Losung, nur kürzer. Das kommt mir entgegen. Mein Blick fällt auf einen Auszug aus Psalm 62,8.
Meine Rettung gründet sich auf Gott allein,
Auch meine Ehre verdanke ich nur ihm.
Er ist der Fels der mir Halt gibt,
Meine Zuflucht finde ich bei ihm.
Ich schreibe ihn ab. Denn so lange ich schreibe, schlafe ich wenigstens nicht wieder ein. Dann reflektiere ich – ebenfalls schriftlich, sicher ist sicher. Ich überlege, was ich mit den einzelnen Worten verbinde und was sie über Gott und über mich aussagen. An dem Abschnitt „Meine Ehre verdanke ich nur ihm.“, bleibe ich hängen. Meine Gedanken sind zäh, der Kaffee hilft kaum. „Ehre“. Was für ein Wort. Aus dem Geschichtsunterricht und aus unzähligen Museumsbesuchen hat sich Ehre mit dem Kampf für das Vaterland verbunden. Ein mehr als fahler Beigeschmack macht sich breit. Und die Ereignisse in Chemnitz letztes Jahr lassen es nicht besser werden. Ich schüttle die Gedanken ab. Was bedeutet es, wenn Gott meine Ehre ist? Ich sehe mich in Gedanken vor Stolz wachsen, während ich auf Gott zeige und einer Gruppe von Leuten sage: „Das da, das ist mein Papa.“
Ja, vielleicht ist das Ehre. Ein Wert, den ich bekomme, weil ich zu jemandem gehöre. Jemand der groß und wunderbar ist. Jemand, der sich eigentlich nicht mit mir abgeben müsste und bei dem sich viele fragen, warum er sich ausgerechnet diese blasse Frau ausgesucht hat und in sie so vernarrt ist.
Ein erstes Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus. Ein schöner Gedanke. Er liebt mich, obwohl ich nichts Besonderes getan habe, nicht mal besonders aussehe – vor allem nicht heute Morgen. Eine Liebe, die sich völlig auf mich bezieht und doch außerhalb meiner Verantwortung liegt. Meine Ehre liegt bei Jesus. Und ich darf langsam aufwachen. Zerknautscht aber glücklich in ein noch konfuses 2019 starten.
3 Comments
Christina
Was für eine schöne Erinnerung für mich- an einem zerknautschen Morgen! DANKE liebe Tine. Ich denke noch viel an deine gute Predigt am Sonntag, dass wir erwählt sind. Nicht weil wir so besonders sind, sondern einfach weil Gott Lust dazu hat- weil er uns lieb hat… Dass wir auch seine Ehre sind – dass er auch so auf uns zeigt und strahlend sagt: „Das, da – das ist meine Tochter!“, das ist wirklich unfassbar. Aber genau das gilt es zu glauben. Gerade n den verknautschen Tagen… Ich drück dich von hier (und ich kann mir soo gut vorstellen, wie Achim erst seinen Abschnitt zu Ende liest und dann anfängt das Feuer zu löschen :-)).
Sonja
Ach, liebe Tine – wie liebe ich deinen zerknautschten Jahresanfang. Und das Anschreiben gegen das Einschlafen kenne ich bestens, genau so wie das leichte Abgelenktwerden :-)) Danke für deine ermutigenden Worte! Herzlichst Sonja
Becky
Danke für Deine tollen Worte. Mein Jahresanfang fühlt sich auch total zerknautscht und nebulös an. Versuche heute Abend mal (erneut), mir eine Wochenstruktur aufzuschreiben, an die ich immer wieder anknüpfen kann…
Danke auch für Deine super Predigt heute – so ein Segen, so begabte Prediger*innen zu haben :-))))))
Und auch Danke für den Psalm-Bibelvers, habe ihn spontan zu meinem Jahresvers erkoren 😉