Evangelisationspanik
Meine Bibelschule hat wieder angefangen. Nach einer längeren Pause freue ich mich nun wie ein Keks, wieder starten zu können. Also fuhr ich vor einigen Wochen gut gelaunt zum Studiengespräch mit meiner Mentorin, um das kommende Semester zu planen. Sie strahlt mich an, geht meine Kurse durch und stockt dann. „Dir fehlt ja noch ein Tag bei Evangelisation. Das trifft sich gut, der Kurs läuft wieder, du kannst an dem letzten Kurstag teilnehmen.“
Mist.
Ausgerechnet Evangelisation. 5 Freitage, in denen wir verschiedene Methoden durchgehen, wie man seinen Glauben teilen kann. Wie man Worte findet um das auszudrücken, was man im eigenen Leben am meisten liebt. Vier Freitage Theorie: kein Problem. Ein Freitag Praxis: großes Problem. Mein Praxistag steht noch aus. Aus gutem Grund, ich hab nämlich Angst davor.
Nun ist es nicht mein primäres Problem Worte zu finden. Zumindest dann nicht, wenn ich diese Worte schreiben darf. Meinetwegen spreche ich sie auch. Von vorne. Wo Menschen gezielt hinkommen um sie zu hören. Das ist okay. Was mich allerdings in Panik versetzt sind Situationen, wo ich fremde Menschen direkt ansprechen soll.
Aller Geschlechterklischees zum Trotz, bin in meiner Ehe definitiv ich diejenige, die lieber eine halbe Stunde orientierungslos im Kreis fährt, anstatt einmal anzuhalten und nach dem Weg zu fragen. Man kann sich also vorstellen, welche Mengen an Angstschweiß bei mir ausbrechen, wenn ich Passanten nicht nur nach dem Weg fragen, sondern ihnen ‚den Weg‘ erklären soll.
Dem entsprechend steigerte sich meine Panik vor einem Jahr immer weiter, bis sie an besagtem Praxistag in einem Absacken des Kreislaufs und einem Kopf in der Kloschüssel mündete. Mein Mann meldete mich krank und ich schämte mich ein paar Tage halb zu Tode.
Nun geht es also in die zweite Runde (und das wo ich so sehr gehofft hatte, man hätte einfach vergessen, dass ich nicht teilgenommen habe).
Es ist Freitag Morgen und mir ist erneut schlecht. Aber nicht so schlimm wie vor einem Jahr. Ich bin schweißgebadet aufgewacht und liege nun mit geschlossenen Augen im Bett, bete still um Mut. Gleichzeitig bin ich genervt von mir selbst. Schluss jetzt mit diesem Gezicke. Was soll schon passieren. Schlimmstenfalls sagen die Leute „Nein danke“ und gehen weiter. Genervter als von anderen Menschen, die einen Tag täglich in der Stadt ansprechen, sind sie davon auch nicht. Ich schaue aus dem Fenster. Draußen regnet es britisch, d.h. Hunde und Katzen. Ich blinzle. Meine Laune steigt. Es regnet nicht einfach nur. Das ist die Sintflut 2.0. Bei so einem Wetter werden wir definitiv nicht auf die Straße gehen. Und selbst wenn, werden wir dort alleine sein. Ich ertappe mich dabei, wie ich die ganze Autofahrt über lautstark zu meiner Lieblings-CD gegen die Scheibenwischer ansinge. Noah war ein Archetyp.
Wenig später stehe ich im Vorlesungsraum vor Aufstellern von ‚My Story‘ einer Internetplattform für christliche Zeugnisse und sehe in die nervösen Gesichter meiner Kommilitonen. Mein Dozent begrüßt mich strahlend. „Du ahnst nicht, was wir heute vor haben. Wir nehmen unsere Zeugnisse auf und stellen sie ins Internet. Ist das nicht toll?!“
Hmpf.
Viele behaupten ja, dass Gott keinen Humor hätte. Das kann ich so nicht bestätigen. Er hat nur teils einen ganz anderen als ich.
Was soll ich sagen…wir sind tatsächlich nicht raus auf die Straße. Wir haben unsere Zeugnisse aufgenommen. Ja, ich habe mich vor die Kamera gesetzt, unvorbereitet, etwas konfus und mal wieder klatschnass geschwitzt. Aber ich hab es getan. Und heute Morgen im Bürgerzentrum habe ich dem netten jungen Mann am Schalter eine gesegnete Woche gewünscht. Nicht nur eine gute Woche, sondern eine gesegnete. Sein kurzes Stocken mündete in ein breites Lächeln und ein „Danke“. Dann blitzte sein Kreuz um den Hals auf. Hm….okay….wieder nur den eigenen Clan getroffen. Macht nichts, fang ich halt klein an.
Ich bin nach wie vor der Meinung, dass man nicht auf der Straße Menschen ansprechen muss, um seinen Glauben zu teilen. Jeder darf und muss da seinen eigenen Weg finden, über seinen Glauben zu sprechen. Aber Angst sollte uns nicht abhalten, den Mund aufzubekommen. Also übe ich jetzt im Kleinen. Und da sich meine Gemeinde für das nächste Jahr „Evangelisation“ auf die Fahne geschrieben hat, werde ich noch viele Möglichkeiten haben, meine Form des Erzählens zu finden. Hoffentlich ohne zu kollabieren.
3 Comments
Vera
Ich kann Dich da sehr gut verstehen und bin überzeugt davon, dass Gott jedem die passende „Sprache“ gegeben hat so wie er zu uns ja auch ganz individuell spricht. Selbst kann ich es auch überhaupt nicht leiden, wenn mich jemand auf der Straße anspricht oder einen flyer in die Hand drückt oder gar an der Haustür klingelt. Genauso wie Du drücke ich mich auch viel lieber schriftlich aus und übe mich darin, auf Impulse zu achten, wem (von den mir vertrauten Menschen) ich vielleicht an passender Stelle z.B. eine Karte von mir geben kann. Vom Typ her bin ich einfach eher introvertiert, doch zum Glück dürfen wir in unserem ganzen SEIN auch ein Brief Christi sein. Manchmal sind weniger Worte und mehr gelebte Liebe vielleicht eher dran. Wir dürfen da einfach vertrauensvoll an Gottes Hand gehen, auch mit Babyschritten.
Elke
ich kann dich so gut verstehen! Ich meinte auch mal, ich sollte mich evangelistisch betätigen: an einem Ewigkeitssonntag auf dem Friedhof Traktate verteilen. Mir war hinterher auch schlecht und ich habe mich regelrecht traumatisiert gefühlt! Niiiiie wieder, habe ich mir gesagt. Ich mag es auch nicht, wenn mir jemand ein Traktat in die Hand drückt, grrrr!Ich brauche ein Vertrauensverhältnis, um persönlich von meinem Glaubensleben zu berichten. E.L.
Tine
Danke ihr Lieben. Es beruhigt auch von euch zu hören, dass es euch da ähnlich geht. Und ich denke auch: Jesus ist so kreativ und er liebt Beziehungen. Daher wird es für jeden von uns mindestens einen 🙂 Weg geben, wir wir Glauben teilen können.