Dankbarkeit

Extrovertiert

Als ich klein war, dachte ich oft, dass mit mir etwas nicht stimmen kann. Ich war viel lieber in meinem Zimmer als draußen, las lieber als mit anderen Kindern zu spielen und schrieb bereits Tagebuch, obwohl ich erst 5 Buchstaben kannte. Eine Kindergärtnerin sagte mal zu meiner Mutter: „Die Christine, die hört man nicht, die sieht man nur. Was hat sie denn?“ Vielleicht war das gar nicht negativ gemeint, aber in mir setzte sich der Gedanke fest, dass man laut, schillernd und besonders sein müsste, um ‚richtig‘ zu sein.
Bis heute kämpfe ich mit dieser Überzeugung. Inzwischen weiß ich, dass sie nicht wahr ist. Aber zwischen wissen und fühlen klafft manchmal ein Canyon von Marianengrabentiefe.

Das letzte Wochenende durfte ich mit vielen wunderbaren Frauen verbringen. Ein Haus voller Leben und Gelächter. Morgens Kaffee, Abends Wein und Kerzenscheingespräche. Wie immer versagten meine inneren Filter völlig und ich war schon nach der mehrstündigen Fahrt zur Unterkunft überladen mit Eindrücken und Gesprächsinhalten, was mich über das Wochenende immer stiller werden ließ. Im Ernst: Smalltalk mit mir ist keine Freude.
Umso mehr genieße ich Menschen, die das können. Die einfach erzählen können, unkompliziert und offen. Die wie selbstverständlich ein Thema finden und unangenehme Gesprächspausen einfach weglachen. Menschen, die auf andere zugehen und Grenzen sprengen können. In den letzten Jahren habe ich zunehmend gelernt, extrovertierte Menschen nicht mehr als Bedrohung zu sehen, die ich halb neidisch-sehnsüchtig, halb bewundernd nachzuahmen versuche. Ich beginne sie zu genießen, weil sie so herrlich und strahlend sind.

Natürlich ist mir klar, dass ich gerade in schwarz-weiß-Kategorien denke, die es im echten Leben nur selten gibt. Die meisten Menschen haben Anteile von beidem, extrovertiert und introvertiert. Wir sind Individuen und damit eben individuell. Zum Glück. Und dennoch wissen wahrscheinlich die meisten, wovon ich schreibe. Nehmt mir also meine Schwarz-weiß-Malerei nicht übel, sondern seht sie mit mir als Möglichkeit endlich einmal Danke zu sagen an all die wunderbaren ‚Extros‘ in meinem/unseren Leben.

Danke…

  • …dass ihr unkompliziert stille Menschen wie mich mit in euren Kreis und ins Gespräch nehmt.
  • …dass ihr Situationen nicht zerdenkt, sondern einfach fragt, wenn etwas unklar ist.
  • …dass ihr Kontakte herstellt und Menschen vernetzt.
  • …dass ihr Worte findet, wo mich mein Schweigen erdrückt.
  • …dass ihr mir Mut macht ich selbst zu sein und gleichzeitig dafür sorgt, dass ich nicht vereinsame.
  • …dass ihr Menschen vor Dinge stellt.
  • …dass ihr so herzlich und laut lachen könnt, bis es mich ansteckt.
  • …dass ihr Licht in Räume bringt.
  • …dass ihr mir hinterherlauft und mich aus meiner Ecke lockt, wenn ich mich zu lange eingeigelt habe.
  • …dass ihr mich mit Schokolade in meine Ecke schickt, wenn ihr merkt, dass mir alles zu viel wird.
  • …dass ihr so energiegeladen, quirlig und echt seid.

Es ist so schön, dass es euch gibt.

Eure Tine

10 Comments

  • Petra H.

    Liebe Tine!
    Da muß ich gleich ein bißchen heulen, wenn ich deine Zeilen so lese. Ein bißchen erkannt fühle ich mich.
    Manchmal bin ich neidisch auf die Extrovertierten…obwohl ich auch nicht generell introvertiert bin. Tja, mehr weiß ich jetzt gar nicht zu sagen, hast du ja schon erledigt. Ich stimme dir zu, fühle mich verstanden und irgendwie fröhlich nach dem Lesen von „Nur Heute“!!! Danke dafür!!!! Deine Petra H. 🙂

    • Tine

      Liebe Petra,
      ich finde du hast so eine herzliche, einfühlsame und strahlende Art. Es war so schön dich in echt und in Farbe kennen zu lernen und ich freue mich, dass der Kontakt über den Blog anhält.
      Übrigens soll es nächstes Jahr wieder eine Schreibwerkstatt geben 🙂

  • Magdalena Müller

    Hallo Ihr lieben Introvertierten und eher Stillen im Lande,

    der Dank geht postwendend an Euch zurück!!
    Schön, dass nicht alle Menschen gleich ticken,
    und wir uns ergänzen können und auch voneinander
    lernen können.
    Schön, dass Ihr so herrlich unaufgeregt seid – Ihr
    seid wie das Salz in der Suppe – ohne Euch wär’s fad!

    Gruß M. Müller

  • Vera

    Liebe Tine,
    Deine Gedanken passen sehr gut zu dem Buch, das ich gerade gelesen habe: Die leisen Weltveränderer von Debora Sommer, in dem ich mich auch immer wieder entdecken konnte (Telefonphobie als kleines Beispiel). Gleichzeitig wird auch hier wieder deutlich, dass es beide Arten von Menschen braucht (die U-Boote und die Schiffe über Wasser), dass sie beide etwas vom Wesen Gottes oder von Jesus wiederspiegeln und sich wunderbar ergänzen können, um gemeinsam Licht und Salz zu sein. Es lohnt sich, immer wieder Schritte aufeinander zuzugehen. Möge es uns gelingen, unsere Grenzen zu bejahen, doch auch unsere Komfortzone immer wieder zu erweitern. ER nimmt uns dabei an die Hand! Deine Worte sind auch für alle Extros voller Wertschätzung, liebevoll und tiefgründig!

    • Tine

      Liebe Vera,
      von dem Buch habe ich schon gehört, eine Freundin liest es gerade und hat es empfohlen. Ich glaube, ich werde es mir auch zulegen.
      In dem was du schreibst liegt so viel Weisheit.
      „Möge es uns gelingen, unsere Grenzen zu bejahen, doch auch unsere Komfortzone immer wieder zu erweitern.“ Dieser Satz wird mich mit Sicherheit noch länger begleiten. Er bringt es auf den Punkt. Danke!

  • Constanze

    Liebe Christine,

    da finde ich mich in vielem wieder, danke für deine ehrlichen Worte. Mir ging es am Wochenende auch immer mal wieder so… 😉 Freue mich, nun deinen Blog zu kennen!

    Liebe Grüße von Constanze

    • Tine

      Liebe Constanze,
      es hat mich so gefreut dich kennen zu lernen! Und gut zu hören, dass es noch jemandem am Wochenende so ging. Ich hatte schon befürchtet, ich sei die einzige 😀
      Gerade lese ich mich durch deinen Blog und es macht so Spaß die Texte zu lesen.

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