Es hat geschneit. Also nicht bei uns, aber in den Bergen. Was in meiner Kindheit noch eine Weltreise war, ist hier im Süden Deutschlands plötzlich gar nicht mehr so unmöglich: mal schnell für ein Wochenende auf die Ski. Der Freundeskreis ist begeistert und geht die möglichen Orte und Pisten durch. Ich überlege mir derweil, wie ich die stillen Stunden zu Hause verbringen werde. Badewanne? Gute Idee. Feuerzangenbowle schauen? Auch möglich. Plätzchenteig machen und aufessen, ohne ihn zu backen. Perfekt. Während ich mir ausmale, wie ich teignaschend im warmen Wasser liege und Filme schaue, überlegen die Freunde bereits, wo sie Ski für mich herbekommen. Mein verträumtes Grinsen verrutscht mir zu einer Grimasse. Wie? Ski für mich? Ich war bereits einmal skifahren. Als Jugendliche. Da fiel ich aus dem Schlepplift und habe mir das Steißbein angeknackst. Sowas tut nicht nur unheimlich weh, es ist außerdem auch ungünstig, denn der Steiß lässt sich nur ganz schlecht gipsen. Kurzum: ich will nicht Skifahren.
Der Freundeskreis schweigt betroffen, ob meiner vehementen Weigerung ein gemeinsames Skiwochenende auch nur in Betracht zu ziehen. Schließlich kommt man zu dem fröhlichen Ergebnis, ich müsse gar nicht auf die Ski, sondern könne ja mit den Kindern der skifahrenden Paare derweil Schlittenfahren gehen. Jeder Mensch jeglichen Alters liebt schließlich Schlittenfahren.
* * *Flashback
Es ist kalt. Der Schnee in meinen Stiefeln ist längt zu einer Pfütze geworden, die aber deutlich wärmer ist, als mein nasser, mit einem intaktem Steiß versehener, Hintern. Der Weg den Hügel hinauf ist lang, weil man außen herum gehen muss, um von den anderen Kindern nicht umgefahren zu werden. Oma hat die Kufen des alten Holzschlittens mit Speck eingefettet. Er riecht nun ein wenig nach Räucherschinken. Der Schlitten ist schwer und mein Herz hämmert beim Ziehen, während mein blauer Schneeoverall an meinem Rücken klebt. Die Mütze ist mir über die Augen gerutscht, aber wegen der dicken Fäustlinge, bekomme ich sie einfach nicht richtig nach oben geschoben. Außerdem darf ich die Schlittenschnur nicht loslassen, sonst fährt er alleine den Berg wieder runter. Meine Nase läuft und wenn ich die Unterlippe in diese Richtung schiebe, schmeckt es komisch. Mama sagt, das macht man nicht, das sei eklig. Finde ich auch, aber die Nase läuft trotzdem.
Oben angekommen setze ich mich auf den Schlitten. "Kannst du lenken?", fragt mich ein älteres Kind. Das werde ich ständig gefragt. Nein, kann ich nicht. Auf meine Verneinung folgte übrigens nie (NIE!) eine Erklärung wie man einen Schlitten denn lenkt (so ganz ohne Lenkrad) sondern meist Schweigen, ein betroffenes "Oh, na das ist schlecht.", oder aber ein "Dann darfst du gar nicht hier fahren, geh weg!". Schlittenlenken kann man offensichtlich nicht lernen, die Fähigkeit des Schlittenlenkens bekommt man vererbt. Meine Familie hat dieses Gen nicht, was dann auch meine häufigen Unfälle erklärt. Als ich endlich erleichtert unten am Hügel angekommen bin, beeile ich mich den anderen Kindern aus dem Weg zu gehen. Atemlos und dankbar, dass ich keine größeren Zusammenstöße verursacht habe, mache ich mich erneut an den Aufstieg, den Räucherschlitten hinter mir herzerrend und an meiner verrotzten Oberlippe saugend. Endlich tauch meine Mama auf und winkt mir zum Zeichen des Aufbruchs. Gott sei Dank, wir dürfen heim. Genug Spaß für einen Tag.
* * *Meine Freunde schauen mich erwartungsvoll an. Ich schüttle den Kopf und sage fest: "Mit Sicherheit werde ich nicht Schlittenfahren gehen." Später fragt mich mein Mann, warum ich so rüde abgelehnt hätte. Ich lächle bedauernd. "Das musste ich tun. Ich kann nicht lenken."